Gertrud Böhm | Beitrag einer 94jährigen

Für mich hat sich durch Corona gar nichts geändert. Ich bin auch vorher fast immer allein in meiner kleinen Wohnung gewesen. Zum Einkaufen kann ich noch mit dem Rollator fahren. Dass ich jetzt dafür eine Maske tragen muss, ist für mich sehr anstrengend, denn ich bekomme ja sowieso schlecht Luft. Ich bin immer völlig erschöpft, wenn ich wieder zuhause bin und muss mich erst einmal hinsetzen.

Meine Tage sind immer gleich. Ich brauche früh sehr lange zum Anziehen und nach dem Frühstück bin ich schon wieder müde. Dann lese ich ein bisschen oder sehe fern und mache mir mittags etwas zu essen. Danach halte ich Mittagsruhe und sehe wieder fern oder lese. Wenn das Wetter schön ist, gehe ich auch mal auf den Balkon und schaue auf die Stadt.

So ist mein Leben schon seit Jahren, ich bekomme nur sehr selten Besuch, kann selbst nirgendswohin, weil ich mit dem Rollator nicht in den Bus steigen kann. Um zum Arzt zu kommen, muss ich mir ein Taxi bestellen und das ist teuer, so hoch ist meine Rente nicht, dass ich mir das oft leisten kann.

Nur wenn meine Nichte aus Bayern kommt, fahren wir mal mit dem Auto ins Erzgebirge. Dann besuchen wir das Grab meiner Schwester und wir gehen Forelle essen. Ich habe ihr gesagt, dass sie mich ruhig umarmen kann. Ich habe keine Angst vor Corona, an irgendetwas muss man ja sterben und ich gehe lieber heute als morgen. Ist doch alles so beschwerlich und viel Freude habe ich nicht mehr am Leben.

 

Gertrud Böhm (94 Jahre)