Kunigunde Bagemihl | Ein Bericht zur Corona-Zeit im Rupertihof

Hätten wir Bewohner des KWA Stift Rupertihof in Rottach-Egern uns vorstellen können, dass wir im hohen Alter durch eine weltweite Pandemie plötzlich noch einmal „anders leben„ sollten? Ausruhen wollten wir von überstandenen Kriegserlebnissen, Krankheiten oder Weltproblemen der vergangenen Epochen. Jetzt wünschen wir uns, das erreichte Alter nur noch sorglos genießen zu können.

Leise, ohne Kriegsgebrüll oder angekündigten Katastrophen wurde die ganze Welt mit einem einzigen kleinen Virus befallen und schränkte unseren Alltag bedeutungsvoll ein. Nicht jeder alte Mensch hat noch einmal die Kraft, sich aufzubäumen oder sich zu wehren gegen einen solchen bösartigen Überfall aus der unberechenbaren Umwelt. Es gibt aber Gott sei Dank auch Menschen, die aus Dankbarkeit für viele schöne Momente in ihrem Leben, ihre Kräfte noch einmal zu neuen Hilfeleistungen aktivieren können. Bewohner und Leitung des Hauses entwickelten mit viel Liebe und Verständnis ganz neue Ideen, um uns die Angst und den Schrecken vor der neuen Situation zu nehmen.

Am Anfang der Corona-Krise fühlten wir uns gefangen in unseren eigenen Wohnungen. Nur unseren eigenen Gedanken waren wir überlassen. Wo waren unsere lieben Nachbarn, warum herrschte beängstigende Stille in den Gängen? Kein Besuch wurde erlaubt. Keine sonst so freudig erwarteten Anschläge mit Ausflugsprogrammen oder Konzertvorankündigungen hingen an unseren Türen. Wie sehr vermissten wir die ganz persönliche Betreuung und die vielen Beschäftigungsangebote. Plötzlich wurde Jedem klar, wie selbstverständlich wir all diese Kultur- und Unterhaltungsangebote angenommen hatten.

Sich alleine einmal wieder zu beschäftigen oder nützlich zu sein war nun gefordert. Nach Aufräumen und Aussortieren und längst fälligen häuslichen Arbeiten in der eigenen Wohnung, verlangte man doch bald sehnsuchtsvoll wieder nach geistiger Nahrung. Gerne griff man in sein Bücherregal und las noch einmal lyrische Gedichte, an die man sich gerne wieder erinnerte. In Goethes“ Faust“ entdeckte man neue Weisheiten für sich oder in Heinrich von Kleists „Nathan der Weise“ erkannte man ein Lehrbuch für die heutige Zeit.

Bald wuchs auch wieder das Bedürfnis in altbekannte, klassische Musik einzutauchen. Wie viele herrliche Musik-CDs liegen vielleicht noch versteckt in Umzugskisten? Selten hatte man die Muße sich diesen Meisterwerken hinzugeben. Jetzt freute man sich über jede Wiederentdeckung. Musik wurde zur besten Medizin gegen TV und Radio Corona-Schreckensmeldungen.

Das Osterfest wurde besonders feierlich mit einer ganz liebevollen Idee gefeiert. Vor jedem Haus auf der Wiese zelebrierte unsere Pastoralreferentin eine kurze Messe und wir alle konnten vom Balkon aus voller Inbrunst dazu singen, begleitet von einem Trompetenspiel.

Doch mancher Bewohner vermisste verzweifelt die Unterhaltungen im Cafe oder während des gemeinsamen Mittagessens. Alle Räume waren abgeschlossen, verständlicherweise wegen der Corona-Ansteckungsgefahr.

Doch eine besonders hübsche, hilfreiche Idee hatte bald unsere Hausleitung: Bei schönstem Wetter gelang es, endlich wieder gemeinsam im kleinen Kreis, im 2 Meter- Abstand und Masken im Gesicht, Musik im Garten hören zu können. An einem wunderschönen Nachmittag erklangen Kompositionen von Vivaldi und Schostakowitsch auf unserer Wiese. Ein erstaunlicher Hörgenuss überraschte uns inmitten der Natur mit Blick in die nahe Bergwelt. Ein gelungener Versuch unsere Musikherzen trotz Coronakrise zu berühren und das Zusammensein wieder genießen zu können.

Das nächste Beisammensein auf unserer grünen Wiese bei herrlichem Sonnenschein und glühender, sommerlicher Hitze, wurde gestaltet mit den schönsten Opernklängen nach dem Motto: „Reich mir die Hand mein Leben“. Die Musik durchdrang die uns umgebende schöne bayrische Landschaft. Sogar ein Steinadler umkreiste unsere hohe Tanne im Garten. Die Tonlage unserer Musik entsprach wohl seiner eigenen Vogelstimme und so zog er sich offensichtlich zu uns hingezogen, was mit Bewunderung und Staunen beobachtet wurde.


Ein besonders stimmungsvolles Konzert im Freien gestaltete Herr Dopfer, unser Haus-Physiotherapeut, mit schwungvoller Jazz-Musik. Die Stimmung war großartig und bei dem Song „What a wonderfull world“ sangen wir alle begeistert mit, es war wirklich ein herrliches bis in den Abend hinein nicht enden wollendes Konzert, …Corona zum Trotz!


Damit unser Geist und Körper trotz Corona-Einschränkungen wach blieben, haben Gedächtnistraining, Rasenspiele wie Croquet, Rasengolf und Boccia uns fit gehalten.

Außerdem haben Gymnastik in unserem eigenen Fitnessraum, Atemthreaphien und Hockergymnastik uns ständig auf Trab gehalten.

 

 

 

 

 

 

 


Wöchentliche Rätsel haben zu angeregtem Wissensaustausch geführt, natürlich per Telefon coronabedingt. Die Auflösungen wurden mit Spannung erwartet. Die Gewinner wurden benachrichtig und feierlich mit großzügigen Geschenken bedacht.

 

Jeder fühlte sich aber bei allen Veranstaltungen immer verantwortlich dafür, durch striktes Einhalten der Abstandregelungen und Tragen der Gesichtsmasten zu unserer Aller-Gesundheit beizutragen. Das war oft nicht so leicht, vor allem unbequem und nicht immer willig befolgt. Wir wurden wiederholt schriftlich durch die Heimleitung aufgefordert bzw. nett gebeten, uns an die Regeln der Gesundheitsbehörde zu halten, um unser Haus weiter von Corona frei zu halten.

 

 

 


Endlich am 1. Juli wurden Erleichterungen vom Gesundheitsamt angekündigt. Als Erstes sahen wir unseren üblichen Spaziergang, in kleiner Gruppe, wieder angesagt. Bescheidene Hoffnung konnte wieder erwachen.

Kultur, Natur, Sport und Geselligkeit haben die Freude am Leben, im Moment noch zaghaft, wieder erweckt. In unserem hohen Alter haben wir noch einmal erleben müssen, wie wir auf einmal Vermisstes ganz besonders zu schätzen wissen.

Dankbar sind wir für alle Unterstützungen durch die vielen guten, hilfreichen Geister in unserem Haus.
 
Kunigunde Bagemihl