Zuerst habe ich mich sehr gefreut, einfach erzählen zu sollen, was Corona mit mir macht. Ganz sicher hätte ich viele Seiten füllen können, doch soll der Text ja eine Chance bekommen gelesen zu werden und nicht völlig verschlafen zu werden.
Ich begann also zu schreiben. Schreiben ist ja auch eine Therapie. Der Beck Verlag hat erst kürzlich ein Buch rausgegeben mit dem Titel „Schreibtherapie“, das ich zwar nicht gelesen habe, nur verschenkt. Und vielleicht habe ich den Aufruf „Was Corona mit mir macht“, auch ein Stück weit so empfunden. So fing ich an, schrieb und schrieb. Und ich stellte fest, dass es sich ja auch täglich ändert. Die Politik, die Stimmung, die Lockerungen und vieles mehr. Dann beschloss ich, mein Empfinden und mein Wahrnehmen zu bündeln und das Wesentliche herauszufiltern. Im Nachhinein kommt ja immer irgendein Aspekt zu kurz. Doch insgesamt trifft es mein Stimmungsbild zu Corona. Und nun ziehe ich einen Schlussstrich, da es sich, wie gesagt, ständig ändert. Ob der Text von der Jury genommen wird oder nicht; mir hat es in jedem Fall gutgetan, mir Gedanken zu machen und sie zu verbalisieren. Wie gesagt, vielleicht auch eine Art Schreibtherapie, da lernt man immer.
Und ich lerne auch, künftig mein Zahlenbüchlein, von dem ich im Text spreche, weiterzuführen. Da ändern sich die Zahlen auch ständig, aber mein Gefühl für die Dimensionen der Zahlen wird klarer.
„Gedankensplitter – Was Corona mit mir macht“
Die Vollbremsung für mich kam erst als ich meine Auftragsarbeit beendete. Zwei Wochen nach dem Lock Down. Bis dahin bin ich abgeschieden vom Rest der Welt, in meinem Atelier in Ton-Figuren versunken, gearbeitet. Im Hintergrund lief das Radio, BR2 berieselte mich täglich mit ausschließlich Corona-News, anderes gab es ja nicht mehr.
Durchaus ungewöhnlich war die geballte Telefonie mit Leuten, mit denen ich sonst gar nicht soviel zu tun hatte. Erstaunt war ich, dass unter ihnen auch welche waren, die Lebensmittel und Hygieneartikel gebunkert haben. Im Radio erklärte ein Psychologe, das seien die, die mit Hamsterkäufen die Krise schlagen wollen. Und es stimmt, meine Freundin, die „bunkert“, hat sich auch schon als Zwölfjährige mit größeren Jungs auf dem Schulhof geprügelt. Heute also „Klopapier als Waffe“.
Manche meiner Freunde sind aufgeblüht, die Zwangsentspannung hat sie zur Ruhe kommen lassen. Manche entdecken sogar ihre altruistische Seite.
Und ich? Weder noch. Ich schaue zu. Ich höre zu. Mein Neffe erzählte mir, dass irgendein Keramiker Ton an Kinder der Umgebung verschenkte und ihnen anbot, ihre Arbeiten in seinem Ofen zu brennen. Tia… , hätte ich eigentlich auch mal.?… Banksy, mein Lieblingskünstler, hing eine Zeichnung im Krankenhaus auf, die Einnahmen wurden gespendet. Tia…, hätte ich eigentlich auch mal.?… Gespannt bin ich auch auf Werke von meinen anderen Lieblingskünstlern, dem „Zentrum für politische Schönheit“.
Und ich, was habe ich mit Corona gemacht, oder Corona mit mir; künstlerisch betrachtet? Jedenfalls keine neuen Figuren. Ich habe festgestellt, dass ich selbst mehr zu innerer Ruhe kam. Mit dem bloßen Rausschauen in die Natur. Rechtlich angeordneter Zwangsurlaub. Dahingelebt. Mit den Bäumen, die vor meinem Atelier stehen. An ihnen geht Corona komplett vorbei, wie schon vieles an ihnen vorbeiging wie z.B. Nazi-Deutschland. Auf dem Hang, auf dem ich wohne, wurden 1945 viele Nazi-Ausweise gefunden, viele von ihnen hat die Erde eingeerdet mit ihren Geschichten. Ich habe die Vögel beobachtet, die täglich an das mit Futter befüllte Vogelhaus kommen und ihnen eine Wassertränke gebaut. Ein Gebrauchsgegenstand aus Keramik. „Igitt – ein Gebrauchsgegenstand“ – „das mache doch eine Künstlerin nicht“. Dieses Klischee habe ich -Dank Corona- in den Hang eingeerdet. Im Gegenteil, ich habe sogar noch etwas zum Gebrauch gemacht: einen Kopf-Topf aus Keramik, in den ich insektenfreundliche Pflanzen eingesät habe. Muss erst Corona kommen, um so manchen zu mehr innerer Ruhe zu verhelfen und tief verankerten, manierierten Irrsinn zu überdenken?
Und dann gibt es die Bekannten, um die ich mich sorge. Darunter auch Künstler. Vor allem die gesamte Gastronomie und viele andere, die es betrifft. Sie, die es hart trifft, waren auch der Grund, warum ich mich spätestens seit der Corona-Kanzlerin Rede, an die Regeln halte, um aktiv Corona schnellstmöglich zu bekämpfen. Nicht alle wollten das anfänglich, wie z.B. eine Freundin, mit der ich Mitte März verabredet war. Als ich ihr diesen Termin ein paar Tage davor abgesagte, meinte sie: sie selbst habe keine Angst vor Corona, aber auf meinen Wunsch nehme sie natürlich Rücksicht. Die subtile Unterstellung einer überzogenen Angst meinerseits konterte ich mit der Vision, sie selbst hätte einen Blinddarmdurchbruch und müsse im Krankenhaus sofort behandelt werden, aber das Personal sei infiziert oder es herrsche wegs Überbelegung Chaos und Ansteckungsgefahr.
Mein politischer Weltschmerz war vor Corona schon groß: Trump, Jemen, Afrika, China und Minderheiten, China und die Eroberung der Welt, Flüchtlinge auf der ganzen Welt, EU, AfD, und und und. Und mit Corona ist er noch größer geworden: Wer kann heute schon vorhersagen wie es sich wirklich entwickelt, wenn selbst die Wirtschaftsweisen geteilte Meinungen haben und man Tendenzen nur erahnen kann. Die spanische Grippe, die Finanzkrise 2008 – da saßen weltweit auch alle Menschen in einem Boot und doch ist nichts vergleichbar mit Corona und heute.
Der Kampf um das viele gedruckte Geld geht los. Mittlerweile führe ich ein Büchlein mit Zahlen. Denn die Zahlen, mit denen hantiert werden, sind für mich abstrakt. Ich schreibe sie nieder, um ein Gefühl zu bekommen. Ein Gefühl für die vielen Milliarden, die gedruckt werden. Weltweit sollen es laut IWF 9 Billionen sein. Wie viele Nullen sind das eigentlich, zehn, elf oder zwölf? 150 Milliarden für Deutschland kommen mir plötzlich als überschaubar vor. Unvorstellbar war die Zahl vor Corona, da hatten wir noch ca. 25 Millarden im Plus. Jetzt haben wir hunderte Milliarden Schulden. EU noch nicht eingerechnet. Wie nötig mein Büchlein ist, mit den gesammelten Artikeln mit Zahlen!
Wird der Ruf der Wirtschafts- und Konsumantreiber, die die Defizite ausgleichen müssen, lauter sein als die Forderung von den Klima-Umdenkern, die Mutter Erde noch retten wollen, zumindest das, was noch zu retten ist?
Desolate gesellschaftliche Strukturen, die es vorher schon gab, sind jetzt noch transparenter geworden. Manche gesellschaftlichen Strukturen wandeln sich noch mehr ins Extreme. Es wird teilweise sehr gefährlich dort, wo es gerade so brodelt. Und es gibt viele Töpfe, in denen es brodelt. Als ob jemand die Büchse der Pandora öffnete, aus der die Verschwörungstheoretiker, Rechtspopulisten u.a. heraushüpften.
Andererseits kitzelt diese Krise ungeahnte Talente bei so manchem heraus.
All die Diskussionen und Denkmodelle, die Philosophen, Politiker und vor allem auch normale Bürger zu Corona anstellen, bewegen mich tatsächlich tief.
Seit März 2020 lebe ich relativ isoliert. Ich habe mich beim wöchentlichen Einkauf gefreut, Bekannte auf dem Supermarkt-Parkplatz zu treffen, wenngleich es nur drei Minuten Ratschen waren, die ich fast wie ein herzhaftes Essen nach einem langen Aufstieg auf den Berg „Die Neureuth“ genießen konnte.
Ganz nach dem Ying Yang Prinzip erlebte ich bei meinem nächsten Einkauf auf dem gleichen Parkplatz das Gegenteil: Ein Schwall an Beschimpfungen ergoss sich über mich, weil ich mich im Einkaufswagenhäuschen nicht ganz Corona-regelkonform verhielt: Wir alle trugen Masken, haben kein Wort miteinander gesprochen und ich habe mir erlaubt einen Einkaufswagen neben einem älteren Herren, der sich alle Zeit der Welt dafür nahm und das auch gerne tun darf, zu nehmen. Dem älteren Herrn kam ich zwar nahe, aber wir sahen uns nicht mal ins Gesicht, geschweige denn, haben wir ein Wort gesprochen. Das aber löste bei einem anderen, wartenden Herren in meinem Alter, große Aggressionen aus, so dass zuletzt die Passanten stehen blieben und ich mich ähnlich wie ein Sozial-Assi fühlte, ganz im Gegensatz zu meinem alltäglichen Leben. Eine winzige Unachtsamkeit lädt bestimmte Leute ein, ihre Hemmschwelle auf Null zu reduzieren? Ist dieser Mann denn überhaupt informiert über die aktuelle Ansteckungssituation und reale, wissenschaftliche Ergebnisse darüber? Oder bin ich es?
Das ist wieder ein Moment, in dem ich zutiefst dankbar bin, für mich alleine zu arbeiten. Vielleicht eines der größten Geschenke in meinem Leben, Künstlerin sein zu dürfen. Ein Privileg, niemals in den Ruhestand gehen zu können. Denn ich bin immer beschäftigt. Ich mache niemals Urlaub und mein Leben ist kein Hobby, sondern ernsthafte Arbeit. In meinem Kosmos. Als ich meine Auftragsarbeit beendete, die mich die ersten Corona-Wochen Zeit und Raum vergessen ließen, war ich eins mit meiner Umgebung. Dem Vogelhaus, der Feldmaus, die sich bedient am Vogelfutter, dem Fuchs, der allabendlich vorbeischaut. Die Nachbarkatze, die ich regelmäßig vertreibe, weil sie Vögel und Mäuse reißt. Den Vögeln habe ich eine Tränke gebaut. An ihnen geht Corona vorbei. Sie brauchen Wasser, Futter und Schlafplätze. Dafür habe ich gesorgt. Ich habe Hemmungen überwunden, indem ich ein self-made Video über einen digitalen Atelierbesuch bei mir drehte, der online läuft. Und ich beobachtete die Bäume und die Natur.
Auch wenn ich heute immer noch denke, dass die Menschheit mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt, versuche ich dennoch das Glas halb voll zu sehen, anstatt halb leer. Und so ein Moment war heute wieder, als ich dem Interview mit Doris Dörrie lauschte. Eine, die selbst kleine Geschichten groß erzählen kann und eine, die sich Facetten des Mensch-Seins genau anschaut und dazu gehören nun mal Schwächen und Leid. Genau sie verbinden uns alle, so wie auch die Hoffnung und der Glaube an ein Wunder. „…dem Vogel die Hand hinzureichen, so dass er sich draufsetzen kann“, sagt sie. Und genau so ein Wunder werde ich mir jetzt malen oder bauen. Denn auch ich will an Wunder glauben, sie erleben und frage weiter: Muss es denn „argentinisches“ Rind sein, haben wir hier nicht genug regionales Rind?
Ich will mich nicht nur immer wundern müssen, sondern auf schöne Wunder hoffen. Vielleicht flog aus der Büchse der Pandora nicht nur das Böse, sondern doch auch die Hoffnung? Dafür steht das Vögelchen auf der Hand!
Hilo Fuchs
Künstlerin, 50 Jahre
Tegernsee, Anfang Juni 2020