Thomas Modlinger | Wie uns das Virus versklavt hat…

Wie uns das Virus versklavt hat, ohne dass wir infiziert wurden – ein Erlebnisbericht über eine schwierige Zeit

Gleich zu Anfang sei versichert, dass ich in keiner Weise an der Existenz und an der Gefährlichkeit von Covid-19 zweifle!

Berlinale 2020: Die große Familie der Kino- und Filmschaffenden trifft sich wie jedes Jahr in Berlin um sich Auszutauschen, zu Informieren und neben den geschäftlichen Angelegenheiten ein wenig zu feiern. Obwohl Corona bereits ein Dauerthema in der Medienberichterstattung ist, werden zu Anfang auf die sonst üblichen Begrüßungsrituale wie Händeschütteln und Umarmungen meistens nicht verzichtet – es gehört schließlich auch zum Business. Vor den Sälen drängen sich dicht gepackt die vielen Fachbesucher*innen um den potentiell interessanten Film sichten zu können. Inzwischen werden die täglichen Berichte in den Medien immer eindringlicher und es wird bereits darauf hingewiesen, dringend Abstand zu den Mitmenschen zu halten, Kontakte zu meiden und Hygieneempfehlungen zu beachten. Erste Ängste – das Filmfestival würde kurzfristig abgesagt werden – kommen auf. Die Besucher*innen distanzieren sich zunehmend voneinander. Zwei Tage vor dem offiziellen Ende der Berlinale kam dann die Meldung, dass die Internationale Tourismusmesse in Berlin (ITB), die in vier Tagen beginnen sollte und bei der bereits alle Stände und Aufbauten fertig gestellt worden waren, nun endgültig abgesagt wurde.

Zurück ins FoolsKINO: In der jetzigen besten und besucherstärksten Kinozeit im Jahr bleiben auch die vielen Stammbesucher*innen aus und die Gästezahlen nehmen rapide ab – an der Filmauswahl kann es nicht liegen. Befürchtungen, sich bei uns im Saal mit Covid-19 zu infizieren greifen um sich. Auch die vielen Kollegen und Kolleginnen in Bayern und auch bundesweit kämpfen mit diesen Problemen. Über die ersten Fälle von Ansteckungen in Holzkirchen wird in den lokalen Medien berichtet. Dennoch gibt es noch keinerlei Informationen seitens des Landrats- bzw. Gesundheitsamtes wie in dieser Situation zu verfahren sei. In erster Absprache mit den Verantwortlichen des Kultur im Oberbräu sahen wir uns veranlasst, am Donnerstag, den 12. März unser Kino sicherheitshalber zu schließen, bis dass verlässliche Eingangsdaten vorliegen. Nach Rücksprache und auf den juristisch fundierten Empfehlungen unserer Kinoverbände – konnten wir unsere Türen einen Tag darauf wieder öffnen. Trotzdem fielen schon vereinzelt Vorstellungen aus und es reduzierte sich die Anzahl unserer Besucher*innen auf den einstelligen Bereich. Am 16. März erreichte uns dann über die Medien die Information, dass alle Kinos in Bayern ab dem folgenden Tag geschlossen werden müssen. Sehr schmerzhaft traf diese Meldung auch knapp 70 unserer besonders Klassik affinen Klientel: die für den 17. März angesetzte Live-Übertragung aus dem Royal Opera House „Fidelio“ mit Jonas Kaufmann musste ersatzlos gestrichen werden. Alle bereits gekauften Tickets – online oder an der Abendkasse – wurden bereits bzw. werden erstattet.

Dann der Lockdown: Als ob man einen Schalter umlegen würde – von 100% zu 0%. Denn „ein bisschen Kino“ geht nicht. In den ersten Tagen genießt man die Ruhe da es keinerlei Termin- und Dispositionsdruck gibt. Der Schreibtisch wird endlich aufgeräumt und die noch liegen gebliebenen Altlasten erledigt. Es herrscht Ausgangssperre – d. h. ohne „triftigen Grund“ ist der Aufenthalt in der Öffentlichkeit untersagt. Während die Disponenten der Filmverleiher und -agenturen ohne Aussicht auf Bezahlung, aus rechtlichen Gründen alle bisherigen Terminbestätigungen stornieren, herrscht unter den Kinobetreiber*innen eine gewisse Form der Schockstarre. Ein reger Austausch über alle modernen Kommunikationskanäle beginnt – einige versuchen die Zeit sinnvoll zu nutzen und modernisieren ihre Räumlichkeiten. Dennoch ist die große Verunsicherung deutlich zu spüren und alle leiden an der anhaltenden Planungsunsicherheit. Ein Modernisierungs- und Investitionsbedarf bei uns im Kino steht derzeit nicht an, da wir in den letzten Jahren immer versucht haben auf dem aktuellen Stand zu bleiben.

Die Situation zu Hause: Abgesehen von der täglichen „interkinoialen“ Kommunikation rutscht der Alltag allmählich ins Rentnerdasein ab. Aber es gibt auch im privaten Bereich noch einiges zu erledigen, was sonst immer liegen geblieben ist. Werkstatt und Keller werden aufgeräumt, ausgemistet und das vorhandene technische Equipment inventarisiert. Einige Reparaturen durchgeführt, ein paar kleine Umbauten und mit Freude findet man das eine oder andere längst vergessene Gerät, das man schon immer wieder in Betrieb haben wollte. Inzwischen ist auch der Platz für die demnächst zu liefernde PV-Schaltzentrale geschaffen worden. Dann gehört im Außenbereich noch unbedingt der Zaun erneuert… Der Partner näht Corona-Schutzmasken im Akkord… Wir haben immer noch Ausgangssperre…

Zurück zum Kino: Inzwischen kommen die Ängste bei vielen unserer Stammgäste auf, wie es denn mit „ihrem FoolsKINO“ in der Krise weitergehen wird. Die telefonischen und elektronischen  Anfragen unserer treuen Stammgäste häufen sich. Eine schier unglaubliche Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft überschwemmte uns – letztlich sind noch nie so viele Online-Gutscheine verkauft worden wie in dieser Zeit. Das war für uns der eindeutige Auftrag: Wir müssen in Holzkirchen so bald wie möglich wieder kulturelles Leben etablieren und Filme anbieten. Auch das persönliche Bedürfnis eines gemeinsamen Filmerlebens im Saal und nach Kundenkontakten meldete sich. Wir wollen wieder Kino machen! Ob aus Leidenschaft, Sehnsucht nach Beschäftigung, wirtschaftlichen Gründen oder warum auch immer…

Die Idee in Holzkirchen vorübergehend ein Autokino einzurichten zerschlug sich – nach erheblich geleisteter Vorarbeit – letztlich, da zum einen die Hürden zu hoch waren und zum anderen der Kinobetrieb im regulären Saal unter Einschränkungen wieder zugelassen wurde. Endlich wieder Kino – auch wenn unsere Gäste größtenteils ausbleiben…

 

Thomas Modlinger
Holzkirchen