Schreibwerkstatt | Verschiedene Texte

Die Schreibwerkstatt setzt sich für ein Ende der Gratiskultur ein, die gestärkt aus der Coronazeit hervorzugehen droht. Unsere vollständigen Texte hören Sie gerne bei der nächsten Lesung, wenn unser Klingelbeutel ein gutes Gewicht erreicht hat.

 

Das Geheimnis um den rubinroten Edelstein in der Kirchenmauer
oder: Every time an artist works for free, it hurts every single other artist out there.

Einst wohnte in Darching, in dem kleinen Haus neben der Kirche, ein redlicher Gemeindeschreiber. Seine eigentliche Liebe galt aber dem Lautenspiel. Oft saß er abends auf der Bank vor seinem Haus, zupfte die Laute und sang dazu. Dann blieben die Bauersleute auf dem Heimweg vom Feld stehen und wiegten sich im Takt.

Bald wurde der Gemeindeschreiber, „Kunsthat Wert“ mit Namen, eingeladen, auf Dorffesten, Hochzeiten, Taufen und anderen Feierlichkeiten für Gotteslohn zu spielen. Er freute sich, seine Musik und seinen Gesang vorzuführen. Bald war er auf Festen im Dorf nicht mehr wegzudenken.

Die Festgäste aber lauschten nicht still, wie die Bauersleute am Gartenzaun. Sie redeten so laut, dass das Lautenspiel kaum noch zu hören war. Nur wenn sie tanzen wollten, riefen sie ihm zu, welche Lieder sie wünschten. Anfangs beklagte er sich bei den Gästen. Doch die antworteten nur: „Sei doch dankbar, wenn wir dir die Gelegenheit geben, als Künstler sichtbar zu bleiben“. Kunsthat verstand nicht. Er fühlte sie niemals unsichtbar.

Nach den Festen bekam Kunsthat oft ein rotkariertes Bschoad Tücherl mit Essensresten, das er mit nach Hause nehmen durfte. Manchmal fand er darin nur abgenagte Knöchelchen. Dann freute er sich und kochte sie mit einer Handvoll Kräutern aus seinem Garten zu einem schönen Süppchen aus.

Eines Nachts wurde die Grille, die im Garten wohnte, durch den Geruch der Suppe angelockt. Sie sprang auf den Küchentisch. „Warum so nachdenklich?“, fragte sie Kunsthat, hob die Vorderflügel und beendete die Frage mit einem kurzen Zirpen …

Bruno, Metzger, 77

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Über die Weichheit in einer harten Zeit

Wir warten vor dem Supermarkt. Die Frau in Poleposition, mit Maske schon lange vor der Maskenpflicht, scharrt in den Startlöchern. Als sich die Türen punktgenau öffnen, startet sie direkt zum Gemüsestand. Dennoch wird sie von links überholt und verliert das Anrecht auf den ersten Grünkohl. „Eine Frechheit“ schreit sie, „Sie missachten die 3,5 Meter Sicherheitsabstand.“

Die Kassiererin des Supermarktes hat hingegen andere Sorgen. In ihrem Heimatland findet Ostern eine Woche später statt. Ihr Sohn wohnt in Italien, der Rest der Familie in Bulgarien. Sie hat es gewagt, ihren Neffen zu sich zum Kaffee einzuladen. Das haben aber die Nachbarn von oben mitbekommen, die sie sowieso schon bei jeder Gelegenheit in ihre Heimat schicken wollen und rufen die Polizei, die ich auch pflichtbewusst anrollt. Ob Strafe oder nicht, ist noch ungewiss, die Straftat ist protokolliert.

Meine Freundin zählt zur Risikogruppe. Ihr wacher, rebellischer Kopf hat ihr immer geholfen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. Langjährige Freunde bombardieren sie mit Artikeln über Verschwörungstheorien und feiern Coronapartys im Gemeinschaftsgarten.

Nach dem Supermarkt steht der Maskenkauf in der Apotheke an. Ein Bekannter, den ich nicht gleich erkannt habe, steht im richtigen Abstand neben mir und ich erwähne, dass ich danach eine gemeinsame Freundin besuchen werde. Der Satz springt zu ihm, weil es so still ist und weil ich beginne, eine Allergie auf die Gräben zwischen den Menschen zu entwickeln. „Ich meine, wir gehen gemeinsam spazieren“, schiebe ich noch nach, als ob nicht schon der erste unnütze Satz gereicht hätte. „Ihr könnt auch Sekrete austauschen, das ist mir egal“, kommt die Antwort gelassen zu mir geschaukelt.

Karin, Lebenskünstlerin, 46

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Als ich auf dich wartete, wusste ich nicht, wie du heißt.

Ich wusste, dass ich viel unterwegs war: Arbeit, Taxidienste für die Kinder, Besorgungen, Freunde treffen, Hobbys.

Ich wusste, dass ich immer etwas verpasste. Angebote über alle Kanäle: per Mail, per Social Media, per Whatsapp, selten sogar noch per Telefon.

Ich wusste, dass ich bei Gruppentreffen oft nur stumm dasaß. Dabei sein ist alles. Von wegen!

Und dann kamst du.

Plötzlich brachte ich meine Kinder nirgends mehr hin und brauchte auch mich selbst nirgends mehr hinbringen. Weil es nur noch einen einzigen richtigen Ort für uns gab.

Plötzlich verpasste ich kaum noch etwas. Weil kaum noch etwas stattfand.

Plötzlich sprach ich genau mit den Menschen, denen ich etwas zu sagen hatte. Weil wir uns anriefen. Ein ganzer Abend zum Telefonieren. Wann hatte es den zuletzt gegeben? 

Ich weiß, dass du viele in existentielle Nöte stößt. Stoße ich diese Menschen vor den Kopf, wenn ich sage, dass du mir guttust? Dann lasse ich dich als Grund eben weg, und sage nur: Ich bin jetzt bei mir! 

Tine, 88

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Charlotte und die Räume

„Einspitzigkeit und Kraft entstehen im vierten Raum“, Charlotte lauscht den Worten von Heinz, der aus dem MacBook Pro zu ihr heraus spricht.

Sie schaut Heinz an und auch die fünf anderen Teilnehmerinnen. Heinz schaut zurück. Charlotte und die anderen fünf Frauen mehr hinein.

Heinz sitzt in der Mitte des Bildschirms, ein freundlicher, liebenswerter Mann Mitte 50, die fünf anderen Interessentinnen sind rechts in Briefmarkengröße untereinander gereiht und lauschen ebenso wie Charlotte aufmerksam den klugen Worten von Heinz. 

Ein leichtes Lächeln umspielt ihre Lippen, ein weiser Blick schaut aus ihren Augen.

Maria, 49

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Der Drosten Effekt

Die Veränderung war auffällig. Eine Weile hatte ich nun die Corona-Berichterstattung meistenteils ignoriert. Und jetzt erschreckte mich dieses Foto. Christian Drosten, gealtert um Jahre. In nur drei Monaten. Der Mann, an dessen Lippen ich, wie der Rest der Nation, über Wochen geklebt hatte. An den „sinnlichen Lippen“, genauer gesagt, wie jene Redakteurin der Süddeutschen das Phänomen Drosten poetisch und damit polarisierend beschrieb. Ihn in den Popstar-Status erhob und damit einige Diskussionen auslöste, die sich auch auf meinem eigenen Facebook Account fortsetzte, wo ich seit Tag Eins des von Söder ausgerufenen Lockdowns täglich einen Beitrag postete. Beginnend mit #01 ATMEN.

Ein Bild, ein paar Zeilen, manchmal nur ein Wort. Ein Schlagwort, ein Streiflicht, ein Gedicht, ein Haiku, ein Zitat, ein Notat, eine Geschichte. Mein persönliches Corona-Tagebuch. Um mir selbst zu beweisen, dass sich die Erde weiterdreht, auch wenn die Welt den Atem anhält. Wenn alle in Panik, Angst oder Schockstarre fallen, das Schöne zeigen, an dem es sich festhalten lässt. Nach dem Motto: „Halte dich an das Schöne“. Christian Drosten war Teil des Schönen. Klug. Eloquent. Redegewandt und glühend in seiner Mission, die Nation aufzuklären. Der Dummheit und Oberflächlichkeit die Wissenschaft entgegenzusetzen. „Pandemie für Dummies“, einfach erklärt.

Wochen später nun das Bild. Herzzerreißend. Drosten unendlich müde. Gealtert um ein Jahrzehnt. Aufgezehrt in seinem Kampf gegen die Dummheit, gegen Windmühlen, gegen ignorante Politiker, gegen anmaßende Journalisten, boulevardposaunende Medien, drohbriefschreibende Gegner, gegen die eigene Müdigkeit und Erschöpfung. Er sah aus, als hätte er ihn verloren, diesen Kampf. „Das sind die Medien“, meint Lina. „Die Macht der Pressefotos und ihres Manipulationspotentials.“ Man könne Menschen so oder so fotografieren, je nachdem, wie man sie darstellen wolle. Das überzeugt mich. „Es ist sein Gewissen“, sagt Cornelius.

Bibliothekarin, 40

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Nicht mal mehr ein Platsch

Je länger die Zeit der Corona-Einschränkungen anhält, umso kleiner werden meine Wirkungskreise. Wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird und es macht nur platsch und dann vielleicht noch 2-3 kleine kaum sichtbare Wellen auf der Wasseroberfläche. Mehr nicht. Mein Aktionsradios ist vollkommen eingeschränkt, ich hocke zu Hause und nichts geht wirklich vorwärts. Meine Kreativität gibt schon seit Wochen kein Lebenszeichen mehr von sich. Der Virus hat auch sie lahmgelegt. Ich denke alles Bemerkenswerte ist gesagt und vor allem geschrieben. Seitenweise voll waren die Magazine über Veränderungen, die der Lock-down ausgelöst hat.  HOMEOFFICE – am Anfang war es ja auch noch ganz witzig zu erfahren, wer wie eingerichtet ist und welches Haustier hat. Tipps und Tricks wie man die bequeme Jogginghose vor der Lap-top- Kamera versteckt und in den meetings gut rüberkommt. Aber jetzt? Von allem genug. Die Jagd nach Toilettenpapier ist abgeschlossen. Alles, was am Anfang der Krise noch neu war, kennen wir jetzt.  Über was sollen wir nun reden? Wortleere. Was soll ich da aus dem eigenen kleinen Universum absondern, wenn andernorts reihenweise Menschen erkranken und sterben. Viel zu banal, alles was mich betrifft.

Eine Freundin aus der Schreibwerkstatt berichtet, dass sie „zum Schreiben“ von Pegasus abgeholt wird und sie gemeinsam über die Meere fliegen, bis eine wunderschöne, tropische Insel unter ihnen erscheint. Wenn sie dort landen, stehen schon alle potentiellen Protagonisten bereit und schreien:

“Hier, ich hab eine gute Geschichte“. Und aus der Menge tönt es vielfach: „Nein ich, hör mich an“. Und ein Gerempel und Krakeelen, bis sie sich entschieden hat, welche sie schreibt von den Stories, die ihr da auf dem Silbertablett serviert werden.  Attraktive Vorstellungen. Einen Versuch ist es wert. Aber wie findet mich Pegasus? Ich stell mich mal vor´s Haus zur Abholung.

Mist, sofort sieht Elke mich von gegenüber. Sie hat ihre Kochleidenschaft entdeckt und ist ständig auf der Suche nach Verkostern. Sie winkt eifrig und ruft vom Nachbarzaun zu mir rüber: „Ich würde gern was Neues ausprobieren, habt Ihr Lust heute Abend zum Essen zu kommen?“

Claudia, Industriekauffrau, 55

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