Alisa Nowak | Mit Covid 19 in den USA – eine Au-Pair Geschichte

Ich heiße Alisa N., komme aus Holzkirchen und bin 21 Jahre alt. Wie viele junge Menschen auch, habe ich beschlossen, nach meiner Ausbildung, erst einmal ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ich wollte die Welt sehen und vor Allem mein Englisch verbessern. Im August 2019 bin ich in die USA geflogen, um dort als Au-pair zu arbeiten und gleichzeitig ins College zu gehen. Es sollte eines meiner besten Jahre meines Leben werden. Es war auch so! Ich habe den amerikanischen Traum gelebt. Bis Covid-19 ausbrach.

Ich erinnere mich noch, als eine Freundin und ich in New Canaan im Bundesstaat Connecticut (CT) Anfang März auf einer Bank saßen und die Menschen beobachtet haben. Einige trugen bereits Gummi Handschuhe und Masken. Wir nippten beide genüsslich an unseren Starbucks Tees und lachten darüber, dass manche Menschen sich so hineinsteigern.

Der 14.03.2020 war der letzte Tag „in Freiheit“. Am Anfang nahm ich den Virus nicht ernst. Ich dachte eher, die Medien erzeugen zu viel Panik. Noch am selben Tag ging ich abends mit Freunden in einen Club und wir haben dort gefeiert. In meinem Herzen hatte ich das Gefühl es würde der letzte Tag und Abend in Freiheit sein. Diese Energie, diese Atmosphäre, es war so, als ob jeder dasselbe denken würde wie ich. Also habe ich mich dementsprechend auch so verhalten. Ich teilte mit meinen Freunden die Gläser und umarmte sie.

Etwa drei Tage nach diesem Wochenende bekam ich Kopfschmerzen. Es waren keine normalen Kopfschmerzen. Ich fühlte mich schlapp, konnte kaum noch Englisch sprechen. Ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. Dann bekam ich Fieber. Meine Hostmutter, für deren Familie ich als Au-pair arbeitete, gab mir frei. Normalerweise bin ich bei einem Infekt innerhalb von zwei Tagen bereits wieder gesund. Jetzt aber wurden meine Schmerzen schlimmer, ich bekam Halsschmerzen und Husten dazu. Schließlich fuhr ich zu einem Urgent care. Das ist so etwas wie eine Notaufnahme außerhalb eines Krankenhauses, nur mit Ärzten. Sie nahmen aber keine Patienten auf, also, musste ich mich dann auf einer Website anmelden, um einen Patienten-Account zu bekommen. Ich fühlte mich nicht sehr wohl, da das amerikanische Gesundheitssystem nicht wirklich gut ist. Also saß ich mit meiner Hostmutter vor dem Gebäude und habe mit einem Arzt per Videokonferenz gesprochen. Ich war so froh, dass meine Hostmutter mir beim Gespräch mit dem Arzt geholfen hat und die richtigen Informationen bei der Website eingegeben hatte. Ich vertraute der Videokonferenz nicht. Ich fühlte mich unwohl, da ich das Gefühl hatte, ein Arzt kann über Videokonferenz keine richtige Diagnose stellen. Die behandelnde Ärztin kam zu dem Schluss, dass ich eine Sinusitis-Infektion (Nebenhöhlen) habe und gab mir ein Antibiotikum. Zwei Tage später verlor ich meinen Geruchs und Geschmacksinn. Es ging mir nicht besser, trotz des Antibiotikums. Mir ging es eher schlechter. Also „durfte“ ich nach 5 Tagen dann doch den Covid-19 Test machen, der zu diesem Zeitpunkt noch sehr schwer zu bekommen war, da nur wenige Test-Sets zur Verfügung standen. Ich bekam das Testergebnis bereits nach zwei Tagen. Das Labor rief mich an und sie sagten „Ms. N. your results are Covid-19 positive!“

Als ich das hörte, habe ich noch einmal nachgefragt, weil ich es nicht wahrhaben wollte. Die Frau am Telefon wiederholte sich „Your results are Covid-19 positive“.  Meine Hände fingen an zu zittern und ich war kurz davor zu weinen. Ich kämpfte gegen meine Angst und meine aufkommende Panik an. Mit ruhiger Stimme fragte ich, was ich tun könnte. Die Antwort war: Ich solle in Quarantäne in meinem Zimmer bleiben, bis alle Symptome weg sind. Wenn ich nicht mehr atmen könne, solle ich ins Krankenhaus gehen. Dann legten wir auf. Ich setzte mich schweigend auf mein Bett und musste erst einmal realisieren, was gerade passiert war. Ich bin Au-pair in USA, mit einem schlimmen Präsidenten und dazu noch in einem Land, das ein Risikogebiet ist, was das Virus anging. Nun habe ich das unbekannte Virus, das niemand kennt. Kann mir geholfen werden? Werde ich mir die Behandlung finanziell leisten können, als Au-pair? Werde ich sterben? Was ist, wenn ich meine Hostfamilie angesteckt habe? Einer der drei Jungen, um die ich mich als Au-pair kümmere, hat Asthma. Könnte er wegen mir das Virus bekommen haben?

Viele Fragen wirbelten in meinen Kopf herum. Ich fühlte mich schuldig und ängstlich. Ich habe mir das Virus bestimmt bei einem meiner Besuche in den Clubs geholt!

Ich dachte, wegen meine „Unverantwortlichkeit“ haben meine Hostfamilie und ich jetzt diese Probleme. Als ich das meiner Hostfamilie erzählte, konnte ich schon sehen wie sie Panik bekamen, aber sie hatten sich unter Kontrolle. Ich hatte erwartet, dass sie mich beschimpfen oder mich sofort vor die Tür setzen würden. Jedoch taten sie nichts von dem. Ich sollte einfach weiter in meinem Zimmer bleiben und sie werden mir Snacks, einen Teekocher vor die Tür stellen. Ich habe jeden Tag Frühstück, Mittagessen und Abendessen bekommen. Sie waren sehr gut zu mir. Ich bekam kein Fieber mehr, aber es kamen dann noch Lungenprobleme dazu und Husten. Ich hatte Schmerzen und bin nur im Bett gelegen. Ich war sauer auf mich selbst, wieso bin ich nur in diese Clubs gegangen! Ich sagte meinen Freunden Bescheid, dass ich Corona habe, keiner von ihnen hatte Symptome. Am nächsten Tag wurde ich von der Stadt New Canaan, der Wohnort meiner Host-Familie und mir, angerufen und von einem Forschungsinstitut, die mir Fragen gestellt haben. In der Quarantänezeit habe ich viel nachgedacht und auch angefangen ein Buch über mein Au-pair Dasein zu schreiben. Zusätzlich begann ich noch eine Fantasiegeschichte zu schreiben. Außerdem habe ich währenddessen viel gezeichnet und gemalt, weil ich darüber meine ganzen Emotionen loswerden konnte. Ich wollte frei sein, ich wollte in eine andere Welt, irgendwo anders hin als hier in den USA während Corona festzustecken. Aus irgendeinem Grund habe ich angefangen, Wölfe und Indianer zu zeichnen. Ich wollte in ihre Welt reisen, in der alles noch so anders war und in der man noch so frei war.

Die ersten zwei Wochen in Quarantäne hatten mir ziemlich zu schaffen gemacht, nicht nur wegen Corona, sondern auch, weil ich mich so nutzlos gefühlt habe. Die Hostfamilie hat sich ein Au-pair geholt, um Hilfe zu erhalten und um unterstützt zu werden. Nun, als sie mich am dringendsten brauchten, wo die Kinder in Corona Zeiten Heimunterricht hatten, war ich nicht einsetzbar. Sie hatten ein zusätzliches Problem, ich als Au-pair mit dem Virus, in ihrem Haus, das eigentlich ein sicherer Zufluchtsort sein sollte. Ich konnte nichts tun, um ihnen zu helfen, da ich mein Zimmer nicht verlassen durfte.

Die Host-Mutter war Lehrerin, sie musste also den kleinsten ihrer Kinder unterrichten und gleichzeitig vier weitere ihrer eignen Schulklassen im Zoom Call unterrichten. Die beiden älteren Kinder konnten sich ganz gut allein durch die Aufgaben arbeiten, aber trotzdem, sie brauchten auch schon mal Hilfe. Der Hostvater musste ständig beruflich telefonieren und im Homeoffice arbeiten, also hatte er auch kaum Zeit, sich um seine drei Jungen zu kümmern.  Es bestand immer die Gefahr, dass er durch die Coronasituation seinen Job verliert.

In der dritten Woche hatte ich meine Selbstvorwürfe verdrängt und mir gesagt, dass ich jetzt nichts mehr ändern kann.  Das Gute war, dass ich nun sehr beschäftigt war. Mein Unterricht am College wurde nun per Zoom Call weitergeführt und wir hatten bald “Final Exam“. Also habe ich sehr viel gelernt. Ich war in einer English Class und in einer Acting Class (Schauspielunterricht). Das Schauspielen half mir mit der Situation besser umzugehen, z.B. durch das Improvisation Theater, das wir geübt haben. Es war seltsam, da alles vor der Kamera stattgefunden hatte und nicht auf der Bühne. Was daran komisch war, war nicht die Kamera vor der ich spielen musste, es waren die verschiedenen Locations und wie jeder einzelnen vor der Kamera saß. Einige lagen im Bett, andere waren im Schlafanzug und mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Vor Allem war es seltsam, dass es so viele Hintergrundgeräusche gab oder manchmal die Internetverbindung abbrach.

Als die Kurse vorbei waren, war ich immer noch in Quarantäne. Mein Husten ging nicht weg und meine Lungen schmerzten immer mehr. Doch ich ignorierte es und versuchte weiterhin positiv zu denken. Ich habe angefangen, das Schöne in der Quarantäne zu sehen. Beispielsweise, hatte ich Zeit für die Prüfungsvorbereitungen fürs College, das ich dann auch mit Bravour abschloss. Ich habe die Note A (A ist die Note 1) bekommen, in meiner Acting Class und im Sprachkurs. Ich habe meine Zertifikate bekommen und konnte weiter an meinen Geschichten schreiben. Vielleicht schaffe ich es irgendwann noch meine Träume zu verwirklichen und eine der Geschichten als Buch zu veröffentlichen. Außerdem konnte ich viel mit meiner Familie in Deutschland telefonieren und auch mit meinen Freunden. Ich hatte mehr Zeit für mich.

Nach vier Wochen Quarantäne musste ich dann doch noch ins Krankenhaus gehen, weil meine Lungen nicht in Ordnung waren. Ich konnte nicht atmen, immer wenn ich lag hatte ich Schmerzen und das Gefühl, das meine Lungen sich zusammenziehen und mir die Luft abschnüren. Ich wollte mich auf Lungenentzündung untersuchen lassen. Als ich bei der Anmeldung ankam, war ich die einzige Person im Wartezimmer. Ich verstand fast kein Wort, was die Menschen hinter der Scheibe, zwei Masken und einem Helm zu mir sagten. Die Anmeldung in der Notaufnahme zog sich gefühlt ins Unendliche. Während ich wartete, wurde eine Leiche an mir vorbeigeschoben. Ich wurde nervös und fing erneut an zu zittern. Ich hatte eine Winterjacke an, eine Maske, Handschuhe und eine Mütze, bei 30+ Grad. Trotzdem zitterte ich. Es war nicht wegen des Viruses, es war der Gedanke daran, dass ich vielleicht auch auf solch einer Liege landen könnte.

Dann wollte mich das Personal des Krankenhauses nicht weiter ins Gebäude lassen, als sie erfuhren, dass ich Covid-19 hatte. Sie brachten mich bei der Notaufnahme in ein Zelt, in dem erst nach zwei Stunden warten ein Arzt kam. Die Ärztin hat nur kurz mit mir gesprochen und zwei Mal meine Lungen abgehört. Dann sagte Sie mir, dass alles bei mir gut sei. Ich spürte, dass sie mich loswerden wollten. Ich fragte sie erneut, ob sie mich bitte röntgen könne, da ich kaum atmen konnte. Sie lehnte es ab und sagt, wenn ich mit Covied-19 infiziert bin, können sie das Risiko nicht eingehen, mich in den Untersuchungsraum zu lassen. Außerdem seien sie überfüllt. Sie verschrieb mir erneut Antibiotikum, gegen eine mögliche Lungenentzündung. Das war einer der Folgekrankheiten, die man wegen Corona bekommen konnte.

Als ich wieder bei meiner Hostfamilie war, habe ich erfahren, dass Trump ein Gesetz erlassen wollte, dass nur Amerikaner wegen Corona zu Ärzten oder in Krankenhäuser dürfen. Oder dass diese Vorrang haben sollen. Vielleicht war das auch ein Grund dafür, dass ich nicht sehr viel Hilfe bekam. Ich fühlte mich so allein, auch wenn meine Hostfamilie mir so viel geholfen hatte, fühlte ich mich allein. Manchmal hatte ich das Gefühl sie machen mir Vorwürfe. Das hätte ich auch getan. In meiner fünften Quarantäne Woche habe ich zwei weitere Corona Tests gemacht, beide Ergebnisse waren „inconclusive“ (ergebnislos, nicht eindeutig). Außerdem hatte meine Hostfamilie inzwischen Stress mit der Au-pair-Agency bekommen, warum wusste ich damals noch nicht. So musste ich dann auch noch die Hostfamilie wechseln. Jetzt musste ich, Anfang Mai 2020, in fremder Umgebung, erneut eine Beziehung zu einer neuen Hostfamilie aufbauen und mich neu einleben.

Es ist sehr viel passiert, was nicht fair war.  Besonders als ich dann die Ärzte- und Krankenhausrechnungen erhielt. Über 2.000,00 $ kostete das Krankenhaus, dazu kommen noch Medizinkosten und die Videokonferenzkosten. Ich war nur vier Stunden im Krankenhaus und die meisten Stunden habe ich mit Warten verbracht. Ich hatte noch nicht einmal das volle Untersuchungsprogramm erhalten. Also zahle ich für etwas was mir, nach meinem Gefühl, kaum geholfen hat. Ich habe zwar eine Au-pair-Versicherung, aber diese deckt nicht alles ab. Ich musste vieles selbst zahlen und mich an der Krankenhausrechnung beteiligen. Ich denke, dass ich nur dank meines starken Immunsystem und Alters gesund wurde. Nicht wegen der Medizin, die mir die Ärzte verschrieben hatten. Die Medizin hatte alles eher schlimmer gemacht, weil sie eigentlich falsch verordnet wurde.

Seit einigen Wochen ist nun im Bundesstaat Connecticut (CT), in dem ich lebe, alles normaler geworden. Ich komme gut mit meiner neuen Hostfamilie klar, auch wenn ich mit ihnen nicht so eine enge Verbindung habe, wie zu meiner ersten Hostfamilie.

Ich war so glücklich, als CT manche Locations, wie Parks, Strände, Restaurants wiedereröffneten. Nun, haben einige wenige Bundesstaaten in den USA das Virus unter Kontrolle und gute Hygienemaßnahmen erlassen. Ich konnte endlich wieder meine Freunde sehen. Am Anfang haben wir uns nur durchs Autofenster unterhalten, inzwischen sind wir bereits wieder zusammen wandern gegangen. Es tut gut zu sehen, dass alles wieder etwas normaler wird, zwar mit Masken und Distanz, aber wir können uns sehen. Das Reisen ist immer noch schwierig, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, nächstes Jahr im Mai ein wenig mehr von den USA zu sehen und vor allem nach Hause zu können.

Ich fühle mich nun sehr stark und bin sicher, das mich erst einmal nichts mehr in die Knie zwingen kann. Ich habe sehr viel zu erzählen und werde das alles in einem Buch niederschreiben. Ich kann nur sagen, bleibt stark und weint auch einmal, wenn Euch danach ist. Verdrängt nicht alles, so wie ich es tat, denn irgendwann wird es Dich einholen und es wird doppelt so stark auf Dich wirken. Ich bin dankbar, dass ich gesund wurde, auch wenn ich vielleicht Folgeschäden von dem Virus haben werde. Ich danke auch meinen Freunden, meiner Familie und vor allem meine Hostfamilie, die mich unterstützt haben. Entweder mit guten Worten oder auch einfach, dass sie mir zugehört haben und für mich da waren.

 

Zeichnungen: Alisa Nowak